Sie kämpfte erst gegen eine heimtückische Krankheit, dann kam auch noch Corona. Die preisgekrönte Akkordeonspielerin Viviane Chassot spricht über die Wichtigkeit von Anerkennung, Applaus und gegenseitige Wertschätzung.
Von Toni Schmid und Marius Egger
Beim Akkordeon denkt man sofort ans Handörgeli und an Volksmusik. Dass man genauso Bach oder Mozart darauf spielt, ist nicht allen bewusst. Viviane Chassot ist eine Meisterin darin. Wer die 41-Jährige auf der Bühne erlebt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Klassische Musik wird über das Akkordeon greifbar – als würde das Bodenständige des Instruments das Abgehobene der Klassik sozusagen erden.
Chassot hat mit zwölf mit dem Akkordeonspielen angefangen und später an der Hochschule der Künste in Bern studiert. Das Studium schloss sie 2006 mit dem Lehr- und Konzertdiplom ab. Heute lebt sie als Akkordeonistin in Basel und tritt weltweit auf. Für ihr Schaffen wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Ihr Wissen und ihre Erfahrung gibt sie inzwischen Schülerinnen und Studenten weiter.
2020 war der Kulturbetrieb lahmgelegt. Freie Kulturschaffende hat die Corona-Pandemie besonders hart getroffen. Auch Chassot. Im In- und Ausland wurden Konzerte und Auftritte abgesagt. Für die Baslerin war indes schon die Zeit davor nicht einfach gewesen. Im August 2019 hatte sie die Diagnose Brustkrebs erhalten.
«Damit begann ein monatelanger Kampf mit harten Therapien», sagt sie mit grosser Offenheit. «Im März 2020 ging es dann wieder bergauf und ich war bereit, Konzerte zu geben.» Doch just da machte ihr Corona einen Strich durch die Rechnung. «Das Leben zeigte mir erneut, dass es nicht planbar ist. Die letzten zwei Jahre waren die schwierigsten meines bisherigen Lebens.»
Frau Chassot, zuerst die Krankheit, später Corona. Wie meistert man das?
Ein Rezept dafür gibt es nicht. Wenigstens keines, das für alle gilt. Nach der Diagnose war lang nicht klar, ob ich je wieder spielen würde. Eine schwierige Situation! Bis dahin war die Musik der Mittelpunkt meines Lebens gewesen. Ich hatte ihr alles untergeordnet. Geholfen haben mir Spaziergänge oder Treffen mit Freunden. Ich habe viel Zeit in der Natur verbracht und mich Bereichen zugewandt, die immer zu kurz gekommen waren. Zum Beispiel habe ich gemalt.
Die Stärke kam also von innen.
Erst in Extremsituationen spüren wir, wie stark wir sind. Das wurde mir in jenen Monaten bewusst. Ich war auf mich selbst zurückgeworfen und auf meine inneren Ressourcen angewiesen.
Haben Sie sich vollkommen erholt von der Krankheit?
Ja, zum Glück.
Corona bestimmt seit bald einem Jahr unser Leben. Auftritte vor Publikum bleiben nach wie vor aus. Vermissen Sie den Applaus?
Nein, den Applaus vermisse ich nicht. Was ich vermisse, ist das Teilen von Musik mit dem Publikum, das vor mir sitzt. Oder anders gesagt, das gemeinsame Erleben, das ich nicht habe, wenn ich zu Hause übe oder ein Stück einstudiere.
Applaus ist eine Form von Anerkennung. Wie wichtig ist Anerkennung?
Es ist wunderschön, wenn man Anerkennung erhält. Für mich als Musikerin ist sie ein Geschenk, ein Dank und eine Wertschätzung des Publikums. Das hat viel mit Resonanz zu tun.
Resonanz im Sinne von Nachhall?
Richtig. Die schönste Art von Resonanz ist dieser Moment der Stille, nachdem der letzte Ton gespielt ist. Dieses Nachhören und Hineinhören in diese Stille, das ist spürbare Ergriffenheit! In diesen Momenten fühle ich mich sehr dankbar. Es ist magisch. Dann folgt der Applaus, er bringt mich wieder zurück in die Realität.
Ist Applaus eine Bestätigung, dass man das Richtige tut?
Ich würde nicht von Bestätigung reden. Für mich ist es, wie erwähnt, Ausdruck von Dank. Am schönsten ist es, wenn mir jemand sagt, mein Spiel habe ihn berührt oder bewegt. Es kam auch schon vor, dass jemand von Glücksempfinden sprach. Das freute mich ausserordentlich. Wenn mir das gelingt, habe ich mein Ziel erreicht.
Sie haben Preise und Auszeichnungen erhalten. Wie wichtig ist diese Form von Anerkennung?
Früher war mir das wichtig. Ich war äusserst ehrgeizig und leistungsorientiert. Dann kam ein Wendepunkt: Mir wurde der Kranichsteiner Musikpreis verliehen, ein renommierter Preis für Nachwuchskünstler, da war ich noch Studentin. Dafür hatte ich ein unglaublich schwieriges Stück eingeübt. Ich fragte mich danach, was das überhaupt soll. Mir wurde klar, dass ich nicht Musik für Preise machen wollte, sondern einzig für ein Publikum. Das ist seither meine Vision. Preise haben ihre Dringlichkeit verloren. Wenn ich ausgezeichnet werde, freut mich das, selbstverständlich, aber ich mache Musik für die Menschen. Das ist der Massstab, der für mich gilt.
Neben der äusseren gibt es eine innere Form von Anerkennung. Kennen Sie das?
Natürlich. Für mich ist die innere Anerkennung sogar wichtiger als diejenige, die von aussen kommt. Die kleinen Erfolge zum Beispiel, die ich täglich beim Musizieren erlebe. Oder die eigene Zufriedenheit nach einer gelungenen Probe oder beim Üben. Ich habe grosse Freude an der Musik. Der Gedanke an die Musik macht mich glücklich. Musik gibt mir Kraft, und das jeden Tag. Das wirkt in diese innere Anerkennung hinein.
Kann man Anerkennung erzwingen?
Ich denke nicht. Genauso wenig, wie man Liebe erzwingen kann.
Was ist, wenn die berufliche Anerkennung ausbleibt?
Ohne Anerkennung kann ich leben, ohne sinnvolle Arbeit jedoch nicht. Wenngleich ich einräumen muss: Bliebe die berufliche Anerkennung von aussen komplett weg, dann hätte ich schon Mühe, weiterzumachen. Das erlebe ich in diesen Corona-Monaten. Es erfordert einiges, immer weiterzuüben. Man übt auf keinen konkreten Moment hin, das ist anstrengend.
Anerkennung motiviert.
Ja, ganz klar. Sie ist ein Ansporn.
Sie bekommen nicht allein als Musikerin Anerkennung, sondern ebenso als Privatperson. Wie wesentlich ist diese Anerkennung?
Ausgedrückte Anerkennung und erfahrener Respekt sind für jeden Menschen wichtig, zumindest glaube ich das. Zu spüren, dass meine Freunde, mein Partner und mein Umfeld an mich glauben, das ist essenziell. Dies betrifft meine ganze Persönlichkeit und bezieht sich auf sämtliche Lebensbereiche. Daher ist diese Anerkennung ein festes Fundament meines Lebens.
Sie unterrichten auch, etwa am Konservatorium Winterthur. Sind Sie eine Person, die andere lobt?
Auch, ja. Ich bin zwar eine strenge Lehrerin und fordere viel. Aber Loben ist entscheidend für den Lernprozess.
Und wie sieht es im Privatleben aus?
(lacht) Da könnte ich tendenziell mehr Anerkennung schenken.
Im Frühjahr kommt Ihre neue CD mit Stücken von Bach heraus. Welche Anerkennung wünschen Sie sich dafür?
Wie gesagt, wegen der Krankheit war ich nicht sicher, ob ich in der Lage sein würde, die Einspielung der CD zu machen. Daher bin ich froh, es geschafft zu haben. Das ist schon eine Anerkennung – eine Anerkennung, die aus mir herauskommt. Die CD besitzt damit eine besondere Bedeutung, in ihr steckt viel mehr als in den vorangehenden. Und mit dem Ergebnis bin ich zufrieden. Was das Publikum dazu meint, werde ich sehen. Ich freue mich auf jeden Fall auf die Veröffentlichung Anfang April.
Was erhoffen Sie sich für die kommenden Wochen?
Weiterhin gesund zu bleiben, wieder Konzerte spielen zu können, auch wenn noch Geduld gefragt ist, und natürlich die Unbeschwertheit im sozialen Leben bald zurückzugewinnen. Und allgemein – was übrigens gut zum Thema passt – mehr Wertschätzung für das, was wir schon haben.